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Datum: 03.05.2023

Von aufsässigen Schülern und streitbaren Lehrern

Wie überall in Preußen so gab es auch in Steinheim eine allgemeine Unterrichts- bzw. Schulpflicht für Mädchen und Jungen im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren. Der örtliche Pfarrer war dabei stets der Vorgesetzte des Lehrers und hatte nicht nur dessen Unterricht zu kontrollieren, sondern auch über dessen Lebenswandel zu wachen.

Der Lehrer sollte nämlich ein frommes und anständiges Leben führen, er sollte Vorbild in der Schule und der Gemeinde sein. Weiterhin hatte der Lehrer halbjährlich soge-nannte Versäumnislisten, worin die Fehltage eines jeden Schülers zusammengestellt waren, über den Pfarrer an die landrätliche Behörde abzuliefern. Solche Versäumnislisten sowie die für die Abwesenheit verhängten Strafen sind auch im Stadtarchiv Steinheim erhalten (Karton 452). Der Grund, warum die Kinder fehlten, wird dabei jedoch nicht genannt. Es ist aber anzunehmen, daß die Eltern nicht auf deren Mitarbeit im Haushalt oder in der Landwirtschaft verzichten konnten oder wollten.

Ein weiteres Ärgernis für Lehrer und Pfarrer war das ungebührliche Verhalten von Schülern, welche diese öffentlich gegenüber Respektspersonen der Gemeinde an den Tag legten. Ein Beschwerdebrief des Pastors Beine aus dem Jahre 1831 belegt dieses eindrucksvoll.

„An den Herrn Bürgermeister Vahle
Euer Wohlgeboren
zeige ich an, daß die kleine Schornagel mit Vornamen Maria, Tochter der Witwe Schorna-gel, den Herrn Rentmeister Windthorst auf öffentlichem Wege beschimpft hat. Da solche Fälle gewöhnlich in der schlechten häuslichen Erziehung liegen und gewöhnliche Schul-strafen bei solchen Kindern zu wenig Eindruck machen und der Mutwille noch öffentlich verübt ist, so glaube ich, daß eine Einsperrung der Schornagel in den Bürgerzwang auf einige Stunden bei dem Kinde am abschreckendsten und bei andren am verwarndsten wirken werden, da ohnehin schon mehrere Klagen darüber geführt ist, daß Schulkinder das ehrerbietige Betragen gegen andren auf den Straßen gar oft verletzen.
Es grüßt bestens Ihr ergebenster Beine, Pastor“.
Steinheim, den 26. Juli 1831

Der preußische Beamte Windthorst war Zollrendant und wohnte in der Marktstraße im Haus Nr. 49. Er war dafür bekannt, daß er streng gegen den Schmuggel an der Grenze zwischen Lippe und Preußen vorging, und so mögen die Beschimpfungen der Maria Schornagel vielleicht in Zusammenhang mit der Windthorst’schen Amtsführung zu sehen sein. Sicher ist das aber nicht. Der im Schreiben erwähnte „Bürgerzwang“ (Gefängnis) befand sich damals im alten Rathaus, das an der Stelle des heutigen Kumps stand. Dieses wurde erst 1835 abgerissen, als das neue Rathaus gebaut wurde.

Die Versäumnislisten belegen, daß neben Geldstrafen für die Eltern und Strafarbeiten vor allem die kurzzeitigen Gefängnisaufenthalte für Schüler oft verhängt wurden.

Blick auf die Knabenschule (April 1930)
Blick auf die Knabenschule (April 1930)

Anfang des 19. Jahrhunderts war es dringend geboten, ein neues Schulgebäude zu bauen, da der Unterricht in einem Raum stattfand, in dem sich die Kinder wie Heringe aneinanderdrängten, und die menschlichen Ausdünstungen kaum auszuhalten waren. So entstand in den Jahren 1818 und 1819 ein Neubau der Knabenschule vor der katholischen Pfarrkirche am Markt, welches 1966 abgerissen wurde. In diesem befanden sich neben den Unterrichtsräumen auch die Lehrerwohnungen.

Diese waren Gegenstand eines erbitterten Streits zwischen dem ersten Lehrer der oberen Jahrgänge Johann Hasse (45 Jahre alt und seit 25 Jahren im Schuldienst) und dem zweiten Lehrer der unteren Jahrgänge Wilhelm Scheiffers (24 Jahre alt und seit 5 Jahren Lehrer). Die persönliche Fehde der beiden Herren begann in Jahre 1826 und zog sich dann mit Unterbrechungen bis 1837 hin. Der umfangreichen Akte „Die Beschwerde des Lehrers Hasse wider den Lehrer Scheif-fers betreffend“ (Karton 69) können wir entnehmen, daß sich Hasse mit seiner Beschwerde direkt an den königlichen Landrat in Holzhausen wandte. Der eigentliche Beschwerdebrief des Johann Hasse ist nicht erhalten, aber aus der Nachfrage des Landrats an Bürgermeister Vahle werden dessen Beweggründe klar: „Nach einer beschwerenden Anzeige des ersten Lehrers Hasse daselbst hat sich der zweite Lehrer Scheifers mit seiner Familie im Schulgebäude niedergelassen, obschon dasselbe ursprünglich nur für einen beweibten und für einen unverheirateten Lehrer eingerichtet ist.“ Weitere Punkte waren etwa die Nähschülerinnen von Frau Scheiffers, die Räume beanspruchten, sowie die durch den Wassertransport in die oberen Räume durchnässten Treppen.

Es wird klar, daß Lehrer Hasse um seinen Besitzstand fürchtete und die neue Lehrerfamilie ihm offensichtlich ein Dorn im Auge war. Bürgermeister Vahle, der vehement Partei für den jüngeren Lehrer ergriff, antwortete dem Landrat, daß die Beschwerden größtenteils oder wohl ganz in der Unwahrheit beruhten. Er führt aus, „daß dem Hasse keineswegs das ganze Schulgebäude zu seiner Wohnung, sondern nur das zu seinem Haushalt Nötige überwiesen ist. Derselbe benutzt darin zwei schöne Stuben jede mit einer Nebenkammer, eine Küche nebst Speisekammer, eine Schlafkammer für eine Magd, einen Keller und einen länglichen Raum zu Stallungen wie auch den nötigen Baderaum. Daß eine solche Wohnung wohl kein Lehrer in hiesiger Provinz zu benutzen hat ist bekannt und daß sie der Hasse selbst nicht gebraucht geht daraus hervor weil er a) die Gesindestube zum Stalle für Meerschweinchen und b) den Boden zu Taubenschlage benutzt“. Die Antwort des Bürgermeisters schien den Landrat überzeugt zu haben, denn er wies die Beschwerde des ersten Lehrers in einem Schreiben vom 17. Juni 1826 ab: „Die wider die Mitbewohner des Schulgebäudes angebrachten und an Ort und Stelle geprüften Beschwerden erscheinen um so mehr völlig unbegründet, indem es bekannt ist, daß der zweite Lehrer dortselbst auf seinem im oberen Stocke angebrachten Kochherde nur in wenig kocht und einen ziemlich geräuschlosen Haushalt führt“.