Sprungziele
Inhalt

Schwere Zeiten für Steinheimer Pfarrer

Mehr als 500 Jahre betreuten die Benediktinermönche aus dem Kloster Marienmünster die Pfarrei in Steinheim. Der letzte jener Benediktiner war Pater Gregorius Köchling, der von 1805 bis 1826 als Pastor in Steinheim tätig war. Er lebte in einer ereignisrei-chen Epoche: 1803 hatte er die Auflösung der Abtei und des Klosters im Zuge der Sä-kularisierung erlebt, sodann dass Steinheim von 1806 bis 1813 zum Königreich West-falen gehörte und kurze Zeit wiederum an Preußen fiel. In diesen turbulenten Zeiten konnte es hin und wieder passieren, daß Steinheimer Bürger den Pfarrern nicht mehr den ihnen gebührenden Respekt entgegenbrachten.

Oben ist das rote Wachssiegel darunter die Ansprache an den Bürgermeister
Briefumschlag des Schreibens von Pfarrer Köchling an den Bürgermeister

Ein solches Ereignis ist vom 4. Mai 1823 überliefert, wie wir aus einem Beschwerdebrief des Pastors Köchling an Bürgermeister Vahle erfahren. Nach dem feierlichen sonntäglichen Gottesdienst saß der Pastor noch im Chorraum und betete, als er sich durch ungebührlich lautes Reden im Südschiff der Kirche gestört fühlte. Er sah den jungen Adolph Müller von der Hinteren Straße und den Fenstermacher Anton Rohde in traulichem Gespräch miteinander vertieft. „Ich richte mich auf und sehe den Schwätzer in der Entfernung strenge an in der Hoffnung, wenn er meinen Unwillen hierüber bemerkte, würde er sich ebenfalls stille aus der Kirche begeben.“

Müller bemerkt zwar den Unwillen des Pastors, setzte aber dessen ungeachtet dreist und noch frecher sein Schwätzen fort. Pastor Köchling rief dem Müller zu, dass, wenn er etwas zu besprechen hätte, dieses draußen machen solle, denn die Kirche sei ein Bethaus, und es gehöre sich, alle Ehrfurcht darin zu zeigen. „Nun fuhr er noch frecher fort zu reden. Hierauf trete ich zu ihm hin an den Kirchenstuhl, fasse ihn bei der Hand und weise ihm die Tür“. Müller aber widersetzte sich und protestierte laut und heftig. Inzwischen kehrten etliche Gottesdienstbesucher in die Kirche zurück, um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen.

Das wollte Pastor Köchling aber nicht dulden und zog sich in den Chor zurück, um das Ende abzuwarten, während Adolph Müller unter schreiendem Fluchen und Lästern die Kirche verließ. Er stellte sich auf den Kirchhof, wo sich mehrere Menschen versammelt hatten und lästerte laut weiter, was der Pastor im Chor hörte. „Ich trat hinaus auf den Kirchhof und erinnerte ihn an die üblen Folgen, die sein unerträgliches Benehmen haben würde“. Er verwies dabei auf die dreimonatige Gefängnisstrafe für Joseph Düwel wegen Störung des Gottesdienstes, und auch die Drohung mit dem Polizeidiener ließ den Müller kalt. Er lachte nur noch lauter. „Ich trat nun zurück in die Kirche und befahl dem Küster alle Türen zu schließen“. Erst nachdem es draußen ruhig geworden war, kehrte Köchling in das Pfarrhaus zurück.

Das Schreiben schließt mit der Aufforderung an den Bürgermeister, die halsstarrige Frechheit des Adolph Müller zu ahnden, da er ja befugt sei, in der Kirche Anweisungen zu geben. Dem Schreiben ist die Aufgeregtheit des Pastors noch anzusehen: Die Schrift ist flüchtig und krakelig, oft sind Korrekturen vorgenommen worden, und auch der Nachsatz spiegelt seine Betroffenheit wieder: „Ich bitte diesen Gegenstand doch baldmöglichst gütigst vornehmen zu wollen“. Gut erhalten ist auch der Briefumschlag mit einem noch vorhandenen Siegel: “An Herrn Bürgermeister Vahle, Wohlgeboren, dahier“. Ob Adolph Müller tatsächlich bestraft wurde, ist in der Akte nicht belegt. Pfarrer Gregorius Köchling fand 1826 seine letzte Ruhestätte auf dem Kirchplatz neben der Marienkirche. Sein Grabstein ist noch heute zu sehen.

Auch unter seinem Nachfolger Pastor Beine gab es wiederholt Respektlosigkeit in der Kirche. So hatte sich Bürgermeister Philipp Vahle im April 1832 derartig über das unschickliche Betragen der jüngeren Männer auf der „Mannsbühne“ (Orgelempore) während des Gottesdienstes erregt, dass er Pfarrer Beine bat, eine Bekanntmachung von der Kanzel zu verlesen. „Es wird festgesetzt, daß Knaben unter 18 Jahren sich künftig nur unten in der Kirche und nicht auf der gedachten Bühne aufhalten sollen. Diejenigen Knaben, welche hiergegen handeln, werden fürs erste Mal mit 20 Silbergroschen Geldbuße oder 24 Stunden Arrest bestraft. Die Eltern der Widerspenstigen sind für die Geldstrafe verantwortlich. Für die übrigen Männer auf der Mannsbühne gilt: Drängen und sonstige Unartigkeiten, besonders aber das Spucken von der Bühne unten in die Kirche, wird für die Folge ebenso strenge bestraft“.

Mit derartigen Problemen müssen sich die Pfarrer heute in Steinheim Gott sei Dank nicht mehr beschäftigen.

31.10.2023