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Die ersten Steinheimer Nachtwächter

Bevor moderne Beleuchtung die öffentlichen Straßen bei Dunkelheit sicherer machte, war es die Aufgabe eines Nachtwächters, nachts durch die Gassen der Stadt zu gehen und für Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu sorgen. Er warnte die schlafenden Bürger vor Dieben, unverschlossenen Türen und insbesondere vor ausbrechendem Feuer. Weiterhin hatte er Stunde und Zeit auszurufen. Eine interessante Akte im Stadtarchiv gibt uns Auskunft darüber, wer die ersten angestellten Nachtwächter in Steinheim gewesen waren.

Gemälde "Nachtwächter aus Erbach im Odenwald" von Wilhelm Trübner
Gemälde "Nachtwächter aus Erbach im Odenwald" von Wilhelm Trübner

Am 27. Oktober 1824 erließ die königliche Regierung in Minden einen Erlaß, demzufolge die Ortschaften des Kreises eine Nachtwächterverordnung erlassen mußten. Aus diesem Anlaß setzte der Steinheimer Bürgermeister Vahle am 28. August 1826 eine Instruktion für die Nachtwächter der Stadt Steinheim auf, in der deren Dienstpflichten aufgelistet wurden. „Die Nachtwächter sind verpflichtet des Sommers vom 1. April anfangend bis 1. October von des abends 10 bis des morgens 3 Uhr und des Winters vom 1. October bis 1. April von des abends 9 bis des morgens 4 Uhr jede Stunde auf den schon seit längeren Jahren hier gebräuchlichen Plätzen zu blasen und die Zeit und Stunde laut bekannt zu geben.“ Ob die Steinheimer Nachtwächter dabei das alte Traditionslied „Hört ihr Leut und lasst euch sagen unsere Uhr hat zwölf geschlagen“ in den Straßen der Stadt gesungen haben, wissen wir jedoch nicht.

Und weiter heißt es in den Instruktionen: „Ist es hauptsächliche Pflicht des Nachtwächters bei jedermaligen Begehen darauf genau zu wachen und zu sehen, ob nicht hier oder da eine Feuersbrunst entstehe und hat derselbe sobald er irgendwo eine Feuersbrunst entdecken sollte, sofort Lärm zu machen und es ohne Zeitverlust der Ortbehörde anzuzeigen“. Der Nachtwächter hatte auch das Recht, verdächtige Personen, die sich nachts auf den Straßen aufhielten, anzuhalten, zu befragen und gegebenenfalls festzunehmen: „Jeder, der bei nachtschlafender Zeit auf der Straße angetroffen wird ist von dem Nachtwächter anzuhalten und im Fall derselbe von ihm nicht bekannt oder sonstiger verdächtiger Person antrifft, ist dieser zu arretieren und der Ortsbehörde zur Untersuchung abzuliefern“.

Die Akte enthält weiterhin das Ratsprotokoll vom 8. Februar 1828, in dem die ersten zwei angestellten Nachtwächter der Stadt erwähnt werden: „In heutiger Versammlung des Stadtraths wurden zu Nachtwächtern für hiesige Stadt und zwar vom 2. Februar 1828 bis dahin 1831 der Schuhmacher Johannes Kaiser und Tagelöhner Anton Reinecke unter folgenden Bedingungen angenommen.“ Jeder Nachtwächter erhielt ein jährliches Gehalt von 20 Talern und 15 Courant Silbergroschen, das vierteljährlich ausgezahlt werden sollte. Weiterhin wurde ihnen auch die „Berufskleidung“ gestellt: „Soll denselben für diese drei Jahre noch aus der Kämmerey Casse ein Rock von groben grauen Tuch als ein Militair Mantel angefertigt nebst eine Mütze vom selben Tuch verabfolgt werden“. Zur typischen Ausrüstung eines Nachtwächters gehörten ferner eine Laterne, ein Blashorn sowie eine Stangenwaffe.

Unterschrieben wurde der Vertrag vom neu angestellten Nachtwächter Anton Reinecke mit drei Kreuzen, das für diese Zeit typische Handzeichen von Analphabeten, welches vom Bürgermeister attestiert, d.h. beglaubigt wurde. Tagelöhner wie Reinecke und Schuhmacher wie Kaiser gehörten um 1830 zu den häufigsten damaligen Berufen in Steinheim, wobei die Schuhmacher aber einen besonders schweren Stand hatten. Um 1800 gab es in Stadt über 60 Schuhmacher, die weit über den örtlichen Bedarf hinaus produzierten und die ihre Schuhe und Stiefel aufgrund von Qualität und Preisgestaltung auf näheren und fernen Märkten absetzen konnten. Der Niedergang des Handwerks wurde durch die neue preußische Regierung und deren Gesetzgebung eingeläutet, der Hausierhandel durch horrende Gewerbesteuern drastisch eingeschränkt, was das Schuhhandwerk nahezu zum Erliegen brachte. Die Steinheimer Stadtchronik (1800 bis 1884) vermerkt 1820 dazu: „Ferner ernährte sich ein großer Teil der Bürger durch das Schuhmachergewerbe, indem sie die verfertigten Schuhe in der benachbarten Gegend zum Verkaufe anboten und dann sich durch den Ankauf von Häuten – aus anderen Gegenden – welche sie selbst zubereiteten, bedeutenden Nutzen verschaffen. Seitdem jedoch im Jahre 1820 die schwere Gewerbesteuer auf den Hausierhandel mit Schuhen gesetzt ist, hat das Herumbringen der Schuhe in andere Gegenden und Ortschaften ganz aufgehört“.

Durch die neuen Gesetze gerieten die Steinheimer Schuhmacher in große Not, und die Erleichterung über eine Anstellung als Nachtwächter dürfte bei Johannes Kaiser besonders groß gewesen sein, da er eine achtköpfige Familie zu ernähren hatte. Leider widerfuhr ihm ein trauriges Schicksal. Als in den Jahren 1831 bis 1835 das sogenannte Nervenfieber (=Typhus) in Steinheim ausbrach, verstarb Johannes Kaiser am 10. April 1834 an dieser schweren Krankheit.Im St. Marien Kirchenbuch wurde zu seiner Person vermerkt: »Nachtwächter, hinterlässt eine Witwe und 7 Kinder«. Kaiser hatte sich also in seinem neuen Beruf bewährt und eine Verlängerung seines Vertrages erhalten.

01.02.2024